Wirkmechanismen
Melatonin hat verschiedene Wirkmechanismen, mit Hilfe derer es unterschiedliche Effekte im Organismus ausüben kann. Man unterscheidet dabei rezeptorvermittelte Effekte, also solche, die nach dem Schlüssel-Schlüsselloch Prinzip funktionieren von den Wirkmechanismen, die auch ohne diese Andockstellen ablaufen.
Melatoninrezeptoren lassen ich in unterschiedliche Klassen aufteilen. Man unterscheidet dabei den Melatoninrezeptor 1 und 2 (MTL1 und MTL2), ein jeder mit einer spezifischen Verteilung und z.T. spezifischen Aufgabe. Beide sind sogenannte membranständige Rezeptoren, an deren Außenseite Melatonin andocken kann. Kommt es zu einer solchen Bindung, werden über spezielle G-Proteine im inneren der Zelle unterschiedliche Prozesse ausgelöst, die zum späteren Wirkeffekt von Melatonin an dieser Zelle führen. Darüber hinaus gibt es eine 3. Rezeptorklasse, die jedoch nicht innerhalb der Zellmembran verankert ist, sondern sich innerhalb der Zelle befindet. Diese Rezeptorklasse ist jedoch nur bei bestimmten Tierarten vertreten und spielt für den Menschen keine wesentliche Rolle.
Die oben erwähnten Melatonin-Rezeptoren 1 und 2 sind verteilt über eine Vielzahl von Organen bzw. innerhalb dieser Organe findet man sie an spezifischen Zellstrukturen. Die Zeitinformation, die auf der oszillierenden (schwingenden) Melatonin-Konzentration basiert, wird dadurch an die Gewebe und somit an den gesamten Körper übertragen.
Die höchste Dichte von Melatonin-Rezeptoren findet man in bestimmten Arealen des Gehirns. Auffallend ist dabei, dass die Verteilung zwischen den verschieden Spezies sehr unterschiedlich sein kann: besitzen z.B. Nagetiere und niedrige Säugetiere vorwiegend Rezeptoren auf den Arealen, die die innere Uhr und die Gonadenfunktion (Organe des Körpers, die zur Produktion von Sexualhormonen und der Fortpflanzung dienen) steuern, findet man beim Menschen neben dem Areal der inneren Uhr die meisten Rezeptoren im Kleinhirn und auf der Großhirnrinde, nicht jedoch auf den Regionen, die die Gonadenfunktion steuern. Dadurch wird deutlich, dass sich die Funktion des Melatonins im Laufe der Evolution verändert hat und nicht alle Ergebnisse, die im Tiermodell erzielt werden, sich eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen.
Neben diesen Rezeptoren im Gehirn sind auch viele dieser Bindungsstellen in anderen Organen der Peripherie entdeckt worden. So besitzen u.a. die Bauchspeicheldrüse, die Leber, das Auge, die Haut, bestimmte Blutgefäße, der Darmtrakt und Teile der Geschlechtsdrüsen Melatonin-Rezeptoren. Die genaue Funktion dieser Rezeptoren ist immer noch Gegenstand intensiver Forschung. Sicher ist, dass durch diese Bindungsstellen ein Teil der organspezifischen Funktion an den Tag/Nacht-Rhythmus gekoppelt wird. Andererseits wird aber auch postuliert, dass Melatonin darüber hinaus auch noch weitere Funktionen ausübt, die am ehesten damit beschrieben werden könnten, dass die Funktionen dieser Organe feinreguliert und untereinander synchronisiert werden.
Neben den oben erwähnten rezeptorvermittelten Effekten besitzt Melatonin auch eine antioxidative Wirkung. Hierbei benötigt es keine spezifischen Bindungsstellen, sondern agiert als potenter Radikalfänger. Ergebnisse aus Tierexperimenten können direkt auf den Menschen übertragen werden, da die Funktion allein auf die molekulare Struktur von Melatonin zurückzuführen ist. Da Melatonin darüber hinaus auch in fast alle Zellen eindringen kann, schützt es alle Organe, sobald es präsent ist. In Anbetracht dessen, dass das Hormon überwiegend während der Nacht abgesondert wird und sehr einfach durch die Blut-Hirn-Schranke gelangt, kann es eine präventive Rolle gegen oxidative Störungen sowohl der Gehirnnervenzellen als auch anderer Organe während des nächtlichen Schlafs spielen. Somit lassen sich eine Vielzahl von positiven Effekten von Melatonin erklären, die nicht mit der Interaktion mit spezifischen Rezeptoren zusammenhängen, sondern lediglich auf der Radikalfängereigenschaft beruht, sei es nun im Tiermodell oder beim Menschen.