Jeder lebendige Organismus, der dem Sonnenlicht ausgesetzt ist, besitzt eine innere Uhr, die sich grob nach einem 24-Stunden-Rhythmus richtet. Der Kreislauf von Tag und Nacht beeinflusst jede Zelle unseres Körpers. Die circadianen Rhythmen werden von einem Bereich des Hypothalamus im Gehirn gesteuert, der suprachasmatischer Nucleus (SCN) genannt wird, und regulieren Zellfunktion und Körperprozesse wie Schlaf-Wach-Rhythmus, Hunger, Stoffwechsel und Hormonspiegel. Unser Gehirn ist fest darauf programmiert, auf Sonnenauf- und -untergang zu reagieren.
Circadiane Rhythmen der Stammzellen auch im Alter aktiv
Die Funktionsweise des circadianen Rhythmus ist sehr komplex, und die inneren Mechanismen sind für Experten noch immer größtenteils ein Rätsel. Viele Wissenschaftler glauben, dass die Stammzellen mit der Zeit sozusagen ihren circadianen Rhythmus verlieren – also aufhören, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden – und dass dadurch der Alterungsprozess eintritt. Dank der fortlaufenden Forschung zu circadianen Rhythmen und dem Altern von Stammzellen wissen wir jedoch, dass dies nicht stimmt.
Laut Studien, die von Wissenschaftlern der Universität Pompeu Fabra und dem Institut für biomedizinische Forschungen (IRB Barcelona) in Spanien sowie der Universität von Kalifornien Irvine durchgeführt wurden, bleiben die circadianen Rhythmen der Stammzellen auch im Alter aktiv, aber ihre Funktion wird umprogrammiert.
Der circadiane Rhythmus wurde früher mit dem Älterwerden und dem Wohlbefinden assoziiert
Wir wissen, dass gesundheitliche Probleme auftreten, wenn unsere biologischen Rhythmen aus dem Takt geraten. Störungen der circadianen Zyklen können zu gesundheitlichen Problemen wie Depressionen, Fettleibigkeit, einer schwächeren Immunreaktion und Stoffwechselstörungen führen. Schichtarbeiter sind zum Beispiel anfälliger für Krebs und Diabetes.
Eine Gruppe Forscher des Labors von Leonard Guarente, dem Novartis Professor für Biologie am MIT, untersuchte das Verhältnis zwischen circadianen Rhythmen und der Gesundheit. Laut Guarente „basiert fast alles, was in unserem Körper passiert, auf dem circadianen Rhythmus. Nun kommt die Theorie auf, dass der circadiane Kreislauf sehr wichtig für die Aufrechterhaltung der Gesundheit ist, und wenn dieser nicht mehr funktioniert, könnte das negative Folgen für die Gesundheit oder den Alterungsprozess haben.“
Im Rahmen früherer Arbeiten half Guarente, eine Verbindung zwischen Störungen des circadianen Rhythmus und dem Älterwerden aufzudecken. In einer Studie, die in der Zeitschrift Cell veröffentlicht wurde, untersuchte das Team den Zusammenhang zwischen dem circadianen Rhythmus und der Alterung, und stellte fest, dass ein bestimmtes Protein (SIRT1), das mit einer langen Lebensdauer assoziiert wird, auch die innere Uhr des Körpers zu steuern scheint.
SIRT1 ist „ein Hauptregulator der Zellreaktionen auf Stress und koordiniert eine Vielzahl von Hormonnetzen, Proteinen und Genen, um die Zellen am Leben und gesund zu erhalten.“ Mit zunehmendem Alter nehmen die Spiegel dieses SIRT1-Proteins ab und beeinflussen die Anpassungsfähigkeit der circadianen Zyklen, mit Stress umzugehen. Dieses neueste Forschungsprojekt über den circadianen Rhythmus und das Altern von Stammzellen könnte helfen, die Natur dieser Beziehung besser zu verstehen.
Veränderungen des circadianen Rhythmus der Stammzellen führen laut Studien zu schnellerer Alterung
Laut zwei aktuellen Studien über den circadianen Rhythmus von Stammzellen und den Alterungsprozess, die beide in der Zeitschrift Cell veröffentlicht und von Dr. Salvador Aznar Benita der IRB Barcelona geleitet wurden – programmieren sich unsere Stammzellen neu, wenn wir älter werden, um weniger mit der regelmäßigen Instandhaltung des Gewebes zu tun zu haben, und konzentrieren sich stattdessen auf altersbedingte Schäden und Stress.
Um die Veränderungen von Stammzellen zu vergleichen, untersuchte das Team die Leber-, Muskel- und Hautgewebe von jungen Mäusen, die drei Jahre alt waren, und von Mäusen, die zwischen 18 und 22 Jahren alt waren. Sie stellten fest, dass jene Gene, die die circadianen Rhythmen steuern, im Laufe der Zeit genauso aktiv bei den älteren Mäusen wie bei den jüngeren waren, überraschenderweise jedoch andere Zellfunktionen zu beeinflussen begannen.
Die Forscher beobachteten bei den jüngeren Mäusen, dass circadiane Prozesse die normalen Zellfunktionen, wie den Schutz und die Instandhaltung von Gewebe, steuerten – Prozesse, wie die Verdopplung von DNS, Wundheilung sowie die Reinigung der Zellen. Das Team fand jedoch heraus, dass die circadianen Prozesse bei älteren Mäusen die Zellmechanismen für den Umgang mit Stress steuerten, wie zum Beispiel die Reparatur der DNS und die Entzündungsreaktion.
Laut Dr. Benitah „behalten gealterte Stammzellen den circadianen Rhythmus bei, führen aber dann andere Funktionen aus, um die Probleme, die im Alter entstehen, zu bekämpfen.“
Auch wenn das nach einer Verhaltensweise klingt, die zu erwarten und auch gewünscht ist, können dadurch tatsächlich noch mehr altersbedingte Komplikationen auftreten. Benitah erklärt, dass „das Problem darin liegt, dass Stammzellen im Alter ihre rhythmischen Funktionen verlieren, die für den Schutz und die Reparatur von Gewebe nötig sind, und stattdessen durch Funktionen ersetzt werden, die für den Umgang mit Stress benötigt werden. Wenn die älteren circadianen Funktionen der Stammzellen im natürlichen Alterungsprozess verloren geht, führt das zu noch mehr Schäden und einem verstärkten Alterungsprozess.“
Circadiane Neuprogrammierungen sind gewebespezifisch
Die Forscher fanden zwar nicht heraus, wodurch diese Neuprogrammierung im Alter ausgelöst wird, kamen jedoch zu dem Schluss, dass circadiane Neuprogrammierungen für jeden Gewebetyp spezifisch und einzigartig ist. Die Autoren glauben, dass dies darauf hindeutet, dass jedes Gewebe im Körper auf eine andere Art und Weise altert – eine Tatsache, die die Richtung zukünftiger Forschungen bezüglich dem Alterungsprozess verändern könnte.
Die Neuprogrammierung von Genen erfolgt normalerweise als Reaktion auf Ereignisse wie Gewebeentzündungen, fehlerhafte Autophagieprozesse oder gehäufte Zellschäden. Pura Muñoz-Cánoves, Forscherin an der Universität Pompeu Fabra, erklärt: „Obwohl Altern immer circadiane Neuprogrammierungen involviert, ist ein interessanter Aspekt unserer Ergebnisse, dass solche Neuprogrammierungen spezifisch sind, und anders bei jedem der untersuchten Gewebe. Diese Beobachtung lässt darauf schließen, dass jedes Gewebe diesen Prozess auf eine andere Art und Weise durchläuft, obwohl der ganze Organismus altert. Um also zu erforschen, wie man langsamer altert, muss jedes Gewebe separat erforscht werden.“
Kalorienreduktion hält den circadianen Rhythmus „jung“
Frühere Studien deuteten darauf hin, dass eine kalorienarme Ernährung den Alterungsprozess verlangsamt. Die Forscher führten eine zweite Reihe an Experimenten durch, bei denen sie Mäusen kalorienarme Nahrung verabreichten, und sie nach sechs Monaten mit normal ernährten Mäusen verglichen. Sie entdeckten, dass die kalorienarm ernährten Mäuse weiterhin die rhythmische Funktionalität einer jüngeren Maus besaßen.
„Die kalorienarme Ernährung trägt stark dazu bei, die Auswirkungen körperlicher Alterung zu verhindern. Ein „junger“ Stammzellenrhythmus ist wichtig, da diese Zellen letztendlich dazu dienen, die bereits angesprochenen Tag-Nacht-Rhythmen in den Geweben zu erneuern und erhalten. Wenn man weniger isst, scheint dies Gewebealterung vorzubeugen, und damit auch der Neuprogrammierung der circadianen Rhythmen der Stammzellen“, erklärt Benitah.
Die Forscher glauben, dass ihre Studien erklären, warum Kalorienreduktion den Alterungsprozess zu verlangsamen scheint. Es bleibt jedoch ungeklärt, ob eine kalorienarme Ernährung auf Menschen den selben Effekt habe, die Forscher betonen jedoch, dass eine Kalorienreduktion wohl nicht die Antwort sei. „Solche Diäten werden wohl kaum häufig gemacht, da man ständig hungrig ist und es viel Willenskraft kostet; außerdem hat der Körper bei einer solchen Ernährung nur das Minimum an Energie, die er braucht, um seine Grundfunktionen ausüben zu können, was auf lange Sicht negative Auswirkungen auf den Alltag eines Menschen haben kann“, so Benitah.
Auch wenn eine kalorienarme Ernährung nicht der Schlüssel zu einem langen Leben ist, glauben die Wissenschaftler, die über den circadianen Rhythmus der Stammzellen und den Alterungsprozess forschen, dass es wichtig ist, weiterhin die Auswirkungen des Stoffwechsels auf die Stammzellen und die Alterung zu untersuchen, um eine Verbindung für zukünftige Behandlungen zu finden.