Unsere Körper haben sich entwickelt, um eine ziemlich komplexe Beziehung mit den Zyklen von Sonne und Mond zu teilen – und da unser Leben immer häufiger drinnen stattfindet, müssen Forscher in der Tat offen legen, auf wie viele Arten uns Sonnenstrahlen beeinflussen.
Wir wissen seit geraumer Zeit, dass Sonnenlicht, vor allem ein Mangel, erhebliche Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit hat. Zum Beispiel wurde bereits belegt, dass niedrigere Spiegel an Serotonin, Vitamin D und Melatonin auftreten, wenn nicht genügend Tageslicht vorhanden ist – Faktoren, die mit Depression und kognitiven Beeinträchtigungen verbunden sind. Ist es also möglich, dass ein Mangel an Sonnenlicht auch zu anderen psychischen Störungen beitragen kann? Genau das wollten Wissenschaftler der Binghamton University herausfinden, während sie die Beziehung zwischen Zwangsstörungen und ihrem geografischen Standort untersuchten. Laut der neu veröffentlichten Studie beeinflusst der Wohnort einer Person den Schweregrad ihrer Zwangsstörungssymptome.
„Die Ergebnisse dieses Projekts sind aufregend, weil sie einen zusätzlichen Beweis für eine neue Denkweise über Zwangsstörungen liefern. Insbesondere zeigen sie, dass das Leben in Gebieten mit mehr Sonnenlicht mit niedrigeren Zwangsstörungsraten zusammenhängt“, so Meredith Coles, Ph.D., Erstautorin der Studie und Professor für Psychologie an der Binghamton University.
Was versteht man unter Zwangsstörungen?
Eine Zwangsstörung ist eine ziemlich häufig diagnostizierte Angststörung. In Deutschland sind etwa ein bis zwei Prozent aller Erwachsenen von dieser Art der Störung betroffen, wobei die Prävalenz der Erkrankung in den letzten Jahren bei Frauen etwas höher ist als bei Männern. Zwangsstörungen können Männer, Frauen und Kinder jeden Alters betreffen, der typische Zeitpunkt, zu dem die Erkrankung auftritt, ist jedoch das frühe Erwachsenenalter, etwa im Alter von 19 Jahren. Laut der WHO ist dies weltweit eine der Hauptursachen für krankheitsbedingte Behinderungen.
Personen, bei denen eine Zwangserkrankung diagnostiziert wurde, werden von wiederkehrenden Denkmustern geplagt, und entwickeln oft Verhaltensweisen, die sich stets wiederholen, und die nur schwer oder gar nicht unterdrückt werden können. Diese Zwangsgedanken und gewohnheitsmäßigen Impulse nehmen viel Zeit in Anspruch, erschweren den normalen Alltag enorm, und stören das Leben immens.
Es gibt geteilte Meinungen unter Experten, was die zugrundeliegenden Ursachen von Zwangsstörungen betrifft, es wird jedoch allgemein angenommen, dass sie das Ergebnis einer Kombination aus Verhaltens-, kognitiven, genetischen, umweltbedingten und neurobiologischen Faktoren sind, die das Zwangsverhalten einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt auslöst.
Eine ungünstig ausgerichtete Körperuhr? Fehlende Synchronisation mit dem Tageslicht verschlechtert Symptome
Viele Menschen mit Zwangsstörungen haben Schwierigkeiten, nachts einzuschlafen, und schlafen oft viel später, um den verlorenen Schlaf nachzuholen. Die Verschiebung ihres Schlaf-Wach-Zyklus entzieht ihnen jedoch die natürliche Exposition gegenüber Tageslichtstunden, und kann zu schlimmeren Symptomen führen.
Dr. Coles erklärt: „Dieses verzögerte Schlaf-Wach-Muster kann die Exposition gegenüber Morgenlicht reduzieren, und dadurch möglicherweise zu einer Fehlausrichtung zwischen unserer inneren Biologie und dem äußeren Hell-Dunkel-Zyklus beitragen.“ Sie fügt hinzu: „Menschen, die in Gebieten mit weniger Sonnenlicht leben, haben vielleicht weniger Möglichkeiten, ihre innere Uhr zu synchronisieren, was zu erhöhten Zwangsstörungssymptomen führt.“
Die Forscher sammelten ihre Ergebnisse, indem sie frühere Studien zu Zwangsstörungsraten rund um den Globus beleuchteten, um diese mit der Entfernung des Landes vom Äquator verglichen. Jener Fehlausrichtungseffekt, der auftritt, ist viel häufiger, je höher der Breitengrad – Bereiche, die weiter weg vom Mittelpunkt des Globus sind -, und insgesamt weniger Sonneneinstrahlung erhalten. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen, die in diesen nördlichen Regionen leben, ein erhöhtes Risiko haben, an einer Zwangsstörung zu erkranken, und eine Verschlechterung der Symptome zu erleben.
Zukünftige Forschungen für bessere Behandlungsmöglichkeiten
Obwohl es noch zu früh ist, aufgrund dieser Daten spezifische Behandlungen zu beginnen, planen die Forscher derzeit eine Reihe zukünftiger Studien, welche die Beziehung zwischen Schlafenszeit und Zwangsstörungen weiter untersuchen.
Laut Dr. Coles: „Zuerst betrachten wir im Laufe der Zeit immer wieder die Beziehungen zwischen Schlafenszeit und Zwangsstörungssymptomen, um über kausale Beziehungen nachzudenken. Zweitens messen wir circadiane Rhythmen direkt, indem wir die Melatoninspiegel messen und Menschen Uhren tragen lassen, die ihre Aktivität und Ruhezeiten verfolgen. Schließlich erforschen wir, wie Schlafenszeit und Zwangserkrankung zusammenhängen.“
Die Wissenschaftler sind auch an weiteren Untersuchungen interessiert, die das morgendliche Sonnenlicht untersuchen, und, ob eine erhöhte Exposition Menschen mit Zwangsstörungen helfen könnte. Ihre Forschung könnte bei der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Zwangserkrankungen helfen, die Störungen des circadianen Zyklus berücksichtigen. Die Ergebnisse des Teams wurden im Journal of Obsessive-Compulsive and Related Disorders veröffentlicht.