Kommt es Ihnen manchmal so vor, als würden Sie im Winter häufiger krank sein? Einige meinen, dass dies einfach daran liegt, dass wir mehr Zeit drinnen mit anderen Menschen verbringen, wenn es draußen kalt ist. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass der Winter oft als „Erkältungs- und Grippezeit“ bezeichnet wird. Allerdings ist es nicht unbedingt so einfach. Ärzte und Wissenschaftler haben andere saisonale Krankheitstrends verfolgt, die nichts mit unserer Nähe zu anderen Menschen tun haben. Viele Krankheiten, insbesondere Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, verschlimmern sich in den Wintermonaten, nur um sich bei warmem Wetter unerklärlicherweise zu verbessern.
In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche Studien zum Thema Saisonalität und Immunsystem bestätigt, dass Immunität, Entzündungen und andere Komponenten der Gesundheit tatsächlich einen saisonalen Rhythmus haben – und dass dieser Rhythmus durch Unterschiede in der Genexpression während der Jahreszeiten verursacht wird. Tatsächlich scheint etwa ein Viertel der körpereigenen Gene zu bestimmten Jahreszeiten aktiver zu sein. Kurz gesagt, unser Körper hat neben circadianen, infradianen und ultradianen Rhythmen auch einen jahreszeitlichen Rhythmus.
Saisonalität und das Immunsystem
Die saisonalen Rhythmen unserer Körper wurden lange Zeit auf nicht genetische Faktoren zurückgeführt. Eine Zunahme von ansteckenden Krankheiten wird z.B. häufig darauf geschoben, dass wir uns verstärkt in geschlossenen Räumen aufhalten. Man dachte außerdem, dass die Zunahme von psychischen Erkrankungen wie die saisonal affektive Störung (SAD) durch kaltes Wetter zumindest teilweise auf niedrigere Vitamin D-Werte zurückzuführen sei, da es weniger Sonnenlicht gibt.
Obwohl diese Faktoren definitiv zum saisonalen Rhythmus der Gesundheit beitragen, stellen sie dennoch nicht die einzigen Ursachen dar. Eine chronobiologische Studie zum Thema Saisonalität und Immunsystem, die an der University of Cambridge durchgeführt und bei Nature Communications veröffentlicht wurde, hat herausgefunden, dass saisonale Veränderungen in der Genexpression alles beeinflussen, von Entzündungen über Schwangerschaftsdiabetes und Herzerkrankungen bis hin zur Blut- und Fettzusammensetzung und der Reaktion des Immunsystems von Jahreszeit zu Jahreszeit.
Das Testen der Genexpression
Die Genexpression ist der Prozess, bei dem genetische Anleitungen verwendet werden, um jene Proteine zu erzeugen, die für die Ausführung und Teilnahme an bestimmten Körperfunktionen erforderlich sind. Unsere Gene enthalten die Baupläne für die Proteine. Wenn ein bestimmtes Gen exprimiert wird, wird dieses Protein in der Zelle hergestellt, die es exprimiert. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Zelltypen beruhen auf den verschiedenen exprimierten Proteinen.
Um die Genexpression zu testen, nahm das Team der University of Cambridge Blut- und Gewebeproben von 16.000 Personen aus weitläufigen Regionen der nördlichen und südlichen Hemisphäre. Es wurden mehrere Faktoren gemessen, mitunter die Anzahl und Typen der Zellen im Blut sowie die Proteinzusammensetzung der Zellen im Blut und des Gewebes. Das Ergebnis? Mehrere Zellen und Proteine zeigten über verschiedene Bevölkerungsgruppen hinweg saisonale Unterschiede, wobei die Nationen vielfältig waren, wie z.B. Gambia und UK.
ARNTL, Immunität und Winter
Eines der Gene, die im Sommer und Winter verschiedene Expressionen aufzeigten, war laut der Studie ARNTL. Dieses Gen war bereits Gegenstand mehrerer Forschungen, wie z.B. bei Untersuchungen bezüglich der circadianen Biologie. ARNTL ist mit dem circadianen Rhythmus sowie einer Reihe von gesundheitlichen Störungen wie Schwangerschaftsdiabetes, Entzündungen und Herzerkrankungen in Verbindung gebracht worden. In der aktuellen Studie der University of Cambridge wurde gezeigt, dass ARNTL im Sommer viel aktiver und im Winter weniger aktiv ist.
ARNTL hat sich bei Ratten als Schutz gegen Entzündungen herausgestellt und es wird angenommen, dass es bei Menschen die gleiche Wirkung hat. Unterschiede in der Genexpression könnten erklären, warum sich Krankheiten wie rheumatoide Arthritis und Herzerkrankungen, die Entzündungen beinhalten, normalerweise im Winter verschlechtern.
Ein anderer Satz von Genen, der mit der Reaktion des Körpers auf Impfungen assoziiert wurde, schien im Winter aktiver zu sein, was darauf hindeutet, dass ein gezielteres Timing von Impfstoffen die nachfolgende Immunantwort des Körpers verstärken könnte. Dieser Zusammenhang zwischen der saisonalen Expression des ARNTL-Gens und anderen Krankheiten eröffnet neue Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit chronischen Erkrankungen.
Eine weitere neuere Studie über Saisonalität und das Immunsystem untersuchte Blutproben, die von über 329.000 Teilnehmern im Laufe von 10 Jahren gesammelt wurden. Die Forscher fanden offensichtliche Unterschiede bei Entzündungsmarkern und der Anzahl weißer Blutkörperchen zu verschiedenen Jahreszeiten und sogar zu verschiedenen Tageszeiten. Basierend auf diesen Informationen scheint es, als ob Menschen zu weniger aktiven Tageszeiten (z.B. nachts) und im Winter anfälliger für bestimmte Krankheiten sind. Die täglichen und saisonalen Veränderungen der Entzündungsmarker und der Anzahl der weißen Blutkörperchen schienen nicht mit dem Vitamin-D-Spiegel oder Umweltfaktoren in Zusammenhang zu stehen.
Warum ist die saisonale Veränderung wichtig?
Warum beeinflusst die Jahreszeit die Genexpression und das Immunsystem? Wissenschaftler glauben, dass es sich hierbei nicht um einen Zufall, sondern eher um einen Überlebensmechanismus handelt. Viele der saisonalen Veränderungen in der Genexpression, die gefunden wurden, sind tatsächlich recht nützlich. Menschen, die z.B. in Gambia wohnen, haben während der Zeit, zu der Malaria am ehesten auftritt, nämlich von Juni bis September, in ihrem Blut eine höhere Anzahl an Immunzellen. Gleichzeitig ist die Zunahme von Entzündungen und die niedrigere Schwelle, die zum Auslösen einer Immunantwort erforderlich ist, die in den Wintermonaten beobachtet wird, ähnlich anpassungsfähig. In diesem Fall bildet der Körper mehr Entzündungsproteine, um die vielen krankheitserregenden Mikroorganismen, die im Winter eher anzutreffen sind, besser abzuwehren.
Dieser saisonale Rhythmus kann jedoch in der heutigen Zeit unangepasst sein, wenn chronische Erkrankungen, die durch Entzündungen verschlimmert werden, mehr negative Auswirkungen haben als die ansteckenden Krankheiten, die wir mit den kalten Wettermonaten in Verbindung bringen. Ein gutes Beispiel ist Typ I oder juveniler Diabetes. Viele weitere Fälle dieser Autoimmunform von Diabetes werden in den Wintermonaten diagnostiziert, wahrscheinlich aufgrund der Zunahme von Entzündungen und Immunzellen im Körper während dieser Zeit.
Diese chronobiologische Studie hat nicht nur bestätigt, dass es einen ausgeprägten saisonalen Rhythmus bei der Gesundheit gibt, sondern auch viele neue Fragen aufgeworfen. Wie kann dieses Wissen über saisonale Rhythmen genutzt werden, um Krankheiten mit saisonalen Schwankungen zu behandeln? Welcher Mechanismus führt zu der Variation der Immunität und Entzündung im Laufe der Jahreszeiten? Zukünftige Studien werden diese und andere Fragen zur circadianen Biologie und den inneren Uhren unseres Körpers sicher beantworten.