In der bisher größten Beobachtungsstudie, bei der Chronotyp und Depressionen erforscht wurden, kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Frühaufsteher seltener depressiv sind. Laut der Studie haben Frauen im mittleren bis späteren Lebensalter, wenn sie früh zu Bett gehen und früh wieder aufstehen, ein geringeres Risiko, Stimmungsstörungen zu entwickeln.
Chronotyp und Wohlbefinden
Jeder Mensch bewegt sich instinktiv im Einklang mit einer Vielzahl von inneren Mechanismen, welche die zeitliche Koordinierung aller Abläufe, vom Gewicht bis hin zur Immunabwehr, beeinflussen. Der Chronotyp einer Person bezieht sich auf ihre angeborene Tendenz, zu einer bestimmten Tageszeit zu schlafen, und während eines bestimmten Zeitfensters aktiv zu sein. Die meisten Menschen kann man entweder dem frühen oder späten Chronotypen zuordnen – auch bekannt als Frühaufsteher und Nachtmenschen.
Kann unser Schlaf-Wach-Phänotyp tatsächlich unsere psychische Gesundheit beeinflussen? Forschungen deuten darauf hin, dass genau dies der Fall ist. Diese neue Studie liefert außerdem weitere Beweise dafür, dass unser Chronotyp unser psychisches Wohlbefinden beeinflusst, und deutet darauf hin, dass Frühaufsteher regelmäßiger besser gelaunt sind als ihre Gegenstücke, die Nachtmenschen.
Stehen Sie jeden Tag bei Sonnenaufgang auf? Wenn ja, kann es sein, dass Sie allgemein gesünder sind. Studien zeigten, dass jene, die von ihrer Kaffeetasse abhängig sind, häufiger übergewichtig sind, Diabetes, Bluthochdruck und psychische Krankheiten haben, zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von bipolaren Störungen, Depressionen, Angststörungen und Drogenmissbrauch. Mindestens eine Studie deutet darauf hin, dass Nachtmenschen möglicherweise sogar früher sterben als Personen, die regelmäßig bei Sonnenaufgang aufstehen und bei Sonnenuntergang zu Bett gehen.
Die Universität Colorado Boulder und die Brigham Frauenklinik in Boston entschieden sich, gemeinsam genauer zu untersuchen, wie unser Schlaf-Wach-Rhythmus mit unserer psychischen Gesundheit zusammenhängt, indem sie sich genauer mit der Verbindung zwischen Chronotyp und Depressionen auseinandersetzten. Das Ergebnis war die bisher größte und detaillierteste Studie, die den Zusammenhang zwischen Chronotyp und psychischer Gesundheit in Augenschein nahm. Die Erkenntnisse der Forscher wurden in der Zeitschrift Journal of Psychiatric Research veröffentlicht.
Zusammenhang zwischen Chronotyp und Depressionen
Die Studie, die 32.000 Teilnehmerinnen umfasste, nutzte Daten der Nurses‘ Health Study II, eine groß angelegte fortlaufende Bevölkerungsstudie, die sich auf die Untersuchung von Risikofaktoren für chronische Erkrankungen bei Frauen konzentriert. Die Analyse zeigte, dass unser Chronotyp einen wesentlichen Einfluss auf unser Depressionsrisiko hat, auch wenn man die Ergebnisse an Umweltvariablen wie Arbeitszeiten und Lichtexposition angleicht.
Laut der Hauptautorin der Studie, Céline Vetter, Leiterin des Circadian and Sleep Epidemiology Laboratory der Universität Colorado Boulder, „deuten die Ergebnisse auf eine gewisse Verbindung zwischen Chronotyp und Depressionsrisiko hin. Dies kann mit der Überschneidung genetischer Bahnen zusammenhängen, die mit Chronotyp und Stimmung in Verbindung stehen.“
Während frühere Studien zwar darauf hindeuteten, dass die späteren Chronotypen doppelt so häufig psychische Probleme haben, waren die Ergebnisse jedoch aufgrund der Art und Weise, wie die Daten gesammelt wurden, dahingehend nicht besonders aufschlussreich, ob die Depression zu spätem Zubettgehen führt, oder ob Nachtmenschen grundsätzlich häufiger Depressionen entwickeln.
Frühaufsteher sind seltener depressiv
Um ein besseres Bild von diesem Zusammenhang zu bekommen, analysierte das Team die Daten von 32.470 Teilnehmerinnen der Nurses‘ Health Study. Die Frauen waren jeden Alters, der Altersdurchschnitt betrug 55, und sie waren – Stand 2009 – nicht depressiv. 37 Prozent der Teilnehmerinnen beschrieben sich selbst als Frühaufsteher, 53 Prozent als dazwischenliegend, und 10 Prozent als Nachtmenschen. Die Frauen wurden dann über vier Jahre beobachtet, wobei kontrolliert wurde, ob sie Depressionen entwickelten.
Nachdem jene Faktoren, die zu Depressionen beitragen können, eingerechnet wurden – Variablen wie Bewegung, chronische Erkrankungen, Gewicht, durchschnittliche Schlafdauer und, ob die Teilnehmerin Nachtdienste leistete – fanden die Analysten heraus, dass Nachtmenschen generell öfter alleine leben und seltener verheiratet sind. Die späten Chronotypen rauchten außerdem häufiger und hatten unregelmäßige Schlafmuster. Nachdem all diese zusätzlichen Faktoren miteinkalkuliert wurden, kamen die Analysten zu dem Ergebnis, dass bei Frühaufstehern ein 12 bis 27 Prozent niedrigeres Risiko bestand, Depressionen zu entwickeln, als bei jenen, die sich selbst als Zwischentypen einschätzten.
Laut Vetter „sagt uns das, dass der Chronotyp möglicherweise Auswirkungen auf das Depressionsrisiko hat, die nicht von der Umwelt oder der Lebensweise abhängen.“
Lebensweise vs. Genetik
Die Genetik spielt eine Rolle dahingehend, ob eine Person zu den Frühaufstehern oder Nachtmenschen zählt. Einige Studien haben darauf hingewiesen, dass bestimmte Gene, zum Beispiel PER2 und RORA, sowohl unseren bevorzugten Schlaf-Wach-Rhythmus als auch unser Depressionsrisiko beeinflussen. Die Genetik ist jedoch nicht der einzige Einflussfaktor, da Umwelteinflüsse eine viel größere Rolle spielen. Abgesehen von unseren genetischen Vorlieben, müssen die meisten von uns Zeitpläne einhalten, die wir uns nicht ausgesucht haben. Auch, wie viel Zeit man im Tageslicht verbringt, trägt seinen Teil dazu bei.
Laut Vetter „beeinflusst anderseits, wann und wie viel Tageslicht wir abbekommen, auch den Chronotypen, und Tageslicht senkt das Depressionsrisiko. Die Rolle von Lichtmustern und Genetik bei der Verbindung von Chronotyp und Depressionsrisiko aufzudecken, ist ein wichtiger nächster Schritt.“
Vetter betont aber, dass der Chronotyp zwar ein Risikofaktor für Depressionen darstellen kann, dies jedoch nicht unbedingt bedeutet, dass Nachtmenschen dazu verdammt sind, mit Stimmungsstörungen zu kämpfen. „Ja, der Chronotyp ist relevant, wenn es um das Thema Depressionen geht, aber er hat nur geringe Auswirkungen“, sagt sie.
Jene, die besorgt sind, dass ihre Zeitpläne ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen, rät Vetter, den Tagesablauf anzupassen. „Es scheint vorteilhaft zu sein, ein früher Typ zu sein, und dies lässt sich beeinflussen.“, erklärt sie.
Selbst Menschen, die ihren Zeitplan nicht umwerfen können, profitieren davon, wenn sie mehr darauf achten. Wenn wir nach erholsamen Schlaf streben, ist es wichtig, viel Sport zu treiben, und sich so lange wie möglich im Tageslicht aufzuhalten. Dies sind einfache und doch effektive Tipps, um die Energie natürlich zu steigern, und die psychische Gesundheit zu fördern.