Melatoninproduktion und Alter
Nicht nur, dass der moderne Mensch das einzige Lebewesen ist, das von seinem Rhythmus abweicht und die Nacht zum Tag macht; ist es auch eine Tatsache, dass, je älter wir werden, desto geringer auch die nächtliche Melatoninproduktion wird. Das nächtliche Signal wird dadurch kürzer, eine Veränderung, die auch an den gesamten Körper übertragen wird. Oftmals wird es bis weit nach Mitternacht nicht aktiviert. Bei Tagesanbruch jedoch stoppt die Sekretion dieses Hormons pünktlich. Das Ergebnis ist, dass ältere Menschen das Schlafhormon für eine viel zu kurze Zeitspanne erhalten und auch insgesamt steht es immer weniger zur Verfügung.
Für die ältere Zirbeldrüse ist eine ausreichende Melatoninproduktion in der Nacht nicht mehr möglich, selbst wenn sich der Körper in totaler Dunkelheit befindet. Die Zirbeldrüse ist stark durchblutet und wie andere Körperregionen mit Gefäßen dazu prädestiniert, Verkalkungen zu erleiden. Diese Verkalkung führt zu einer Abnahme der Melatoninproduktion und dadurch zu ausgeprägter Schlaflosigkeit sowie circadianen Rhythmusstörungen.
Bis zum 3. Lebensmonat wird kaum Melatonin in einem Tag-Nacht Rhythmus gebildet. Danach steigen die nächtlichen Serummelatoninwerte an und es zeigt sich allmählich der circadiane Zyklus. Zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr werden die höchsten Melatoninkonzentrationen erreicht, diese hohen Spiegel bleiben dann bis zur Pubertät, um anschließend auf normale Erwachsenenwerte abzufallen. So kann man bei einem gesunden erwachsenen Menschen einen 8-10-fachen Anstieg der Melatoninwerte während der Nacht feststellen, wohingegen die nächtlichen Werte bei Älteren oft nur sehr spät und für kurze Zeit auf das maximal 2-fache des Tageswertes steigen.
Dieser geringe Tag-Nacht-Unterschied reicht nicht mehr aus, um dem Körper den Wechsel von Tag und Nacht korrekt zu übermitteln und die innere Uhr zu steuern. Möglicherweise ist dies mit ein Grund für das häufigere Klagen über Schlafstörungen und die damit verbundenen Krankheiten bei älteren Menschen.
Melatoninmangel spiegelt sich auch in der gestörten Rhythmik der nachgeschalteten Hormonsysteme wieder. Eine frühe Abnahme der Melatoninproduktion kann ein Faktor des frühen Beginns der Wechseljahre sein, da dadurch auch weniger Geschlechtshormone produziert werden. Melatoninmangel ist außerdem essentiell für die Produktion des Wachstumshormons HGH, auch “Vitalitätshormon” genannt, da dieses verlangsamt wird, sollte Melatonin fehlen. Unzureichendes Melatonin beeinflusst auch die Leber, wenn sie nicht effektiv für die Nacht programmiert wird. Dies kann Insulinresistenz verursachen, was zu Diabetes führen kann. Darüber hinaus bleibt der Drang zu urinieren in der Nacht auf Tagesebene, wenn ein spezielles Anti-Hormon (ADH) aufgrund des Melatoninmangels fehlt.
Melatoninmangel hat besondere Auswirkungen auch auf das Gehirn. Alle nächtlichen Reparaturmechanismen werden reduziert. Die Speicherung von Informationen ins Langzeitgedächtnis, die nachts stattfindet, wird nicht mehr unterstützt. Dies erhöht die Anfälligkeit für früh einsetzende Demenz und neurodegenerative Prozesse.
Die britische Fachzeitschrift „Journal of Ophthalmology“ veröffentlichte kürzlich einen alarmierenden Zusammenhang zwischen alternden Augen und Melatoninproduktion. Messungen zeigen, dass nach dem 45. Lebensjahr weniger Sonnenstrahlen das innere Auge erreichen. Dies ist das Resultat des leichten Vergilbens der Okularlinse und Verengung der Pupille. Aus diesem Grund erreichen weniger Lichtteilchen die wichtigsten Zellen der Netzhaut, die den Tag-Nacht-Rhythmus messen, um unsere innere Uhr zu regulieren. Studien zeigen, dass die Änderungen im alternden Auge zu einer Reihe von typischen Augenkrankheiten führen, bei denen die Ursache nicht im Auge selbst zu finden ist. Die Konsequenzen einer Verschlechterung der Augenleistung umfassen kognitive Defizite (insbesondere die Speicherkapazität), Schlaflosigkeit, Depression und verlängerte Reaktionszeiten. Eine Korrelation zwischen dieser Augenveränderung und einer gestörten Melatoninproduktion wird daher postuliert.
Unsere innere Uhren reagieren auf die Veränderungen von hell und dunkel und verwalten unseren Tagesrhythmus. Sie geben jedem Organ einen Impuls für Tag- und Nachtaufgaben. Das Gehirn beispielsweise speichert jene Informationen, die während des Tages gesammelt werden ins Langzeitgedächtnis oder löscht sie vollständig. Diese Zündsignale werden vor allem durch das Mutterhormon der Chronobiologie, Melatonin, übertragen. Älteren Menschen steht aber nur ein Bruchteil dieses Hormons zur Verfügung, was sich dann auch auf die Konzentrationen anderer Neurotransmitter überträgt. Dies führt nicht nur zu weit verbreiteten Problemen beim Durchschlafen, sondern auch zu einer Beeinträchtigung der richtigen Tagesaktivitäten der wichtigsten Organe, zum Beispiel von Leber oder Nerven im Laufe eines 24-Stunden-Tages.