Früher hat man angenommen, dass Schlaf nur eine Periode der Inaktivität und der Erholung sei, neue Studien im Bereich der Chronobiologie haben jedoch gezeigt, dass Schlaf für eine Vielzahl von biochemischen Prozessen wichtig ist. Eine aktuelle Studie legt nahe, dass Schlaf noch wichtiger ist als Ärzte und Wissenschaftler bisher angenommen hatten, da er dem Gehirn ermöglicht, giftige Chemikalien, die sich im Laufe eines Tages ansammeln, auszuspülen.
Neurotoxine und Ihr Gehirn
Die Zellen in Ihrem Gehirn sind über den Tag hinweg beschäftigt, wobei sie eine Vielzahl von Reaktionen durchführen, die die mentale Funktion ausmachen. Leider beinhalten viele dieser Prozesse giftige Nebenprodukte, die für die Zellen tödlich sein könnten, wenn sie nicht entfernt werden.
Das Gehirn wird vom restlichen Körper getrennt gehalten, z.B. durch die eigene Blutzufuhr mit Hilfe der Blut-Hirn-Schranke. Dies verlangsamt das Entfernen der Neurotoxine, die sich aufgrund der mentalen Aktivitäten im Wachzustand ansammeln können. Diese Gifte werden mit Hilfe eines langsamen Tropfensystems (glymphatisches System) entfernt.
Neue Untersuchungen legen jedoch nahe, dass das glymphatische System während des Schlafens weder langsam noch tröpfchenweise erfolgt. In einer aktuellen Studie fanden Forscher heraus, dass sich das Gehirn in der Nacht strukturell verändert, um eine schnelle und gründliche glymphatische Reinigung zu ermöglichen.
Das glymphatische System während des Schlafs
In dieser Studie bildeten Forscher der circadianen Biologie die Gehirne von Mäusen ab. Während des Wachzustands und Schlafs sind diese unseren Gehirnen sehr ähnlich. Während des Schlafs werden die Ventrikel, bzw. die mit Flüssigkeit gefüllten Kammern des Gehirns, größer. Auch bei Menschen konnte man dies beobachten, so etwa bei Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen.
Die mikroskopische Untersuchung von Mäusegehirnen zeigte, dass die Gliazellen, die die Nervenfunktion unterstützen, während des Schlafens drastisch schrumpften. Dies ermöglichte der Zerebrospinalflüssigkeit das Gehirn gründlich und schnell auszuspülen, wodurch sie die über den Tag angesammelte Neurotoxine entfernte. Tatsächlich zeigten die Forscher, die die Gehirne der Mäuse bildlich darstellten, dass das glymphatische System 10-mal aktiver wurde, wenn die Mäuse schliefen.
Warum wird das Gehirn in der Nacht ausgespült?
Das führt zu einer wichtigen Frage: Warum geschieht dieser Vorgang während des Schlafs? Das Ausspülen der Neurotoxine aus dem Gehirn ist äußerst wichtig, um Zellschäden vorzubeugen, sollte es also nicht permanent gemacht werden?
Obwohl es (noch) keine Bestätigung in Form von Untersuchungen gibt, haben Wissenschaftler der Chronobiologie eine Hypothese aufgestellt, warum dieser lebensnotwendige Prozess während des Schlafens beschleunigt wird. Dr. Nedergaard, der Leiter dieser erst vor kurzem veröffentlichten Studie spekuliert, dass das Gehirn jede Menge Energie aufbringt, um sich selbst zu reinigen und Nervengifte über die Blut-Hirn-Schranke zu pumpen, damit sie ausgeschieden werden können. Am Tag wird die gesamte Energie für die mentalen Funktionen verbraucht, wodurch keine Energie für die Reinigung bleibt. Genau wie auch viele Gebäude nachts gereinigt werden, wenn sie nicht so sehr genutzt werden, muss sich auch das Gehirn eine Reinigung für jene Zeiten aufheben, zu denen es andere Funktionen nicht beeinträchtigt.
Die Blut-Hirn-Schranke und Schlaflosigkeit
Schlaflosigkeit könnte nicht nur die Routinereinigung des Gehirns beeinträchtigen, sondern sogar dazu beitragen, dass giftige Chemikalien in das Gehirn importiert werden. Eine weitere aktuelle Studie fand heraus, dass die Verbindungen von Blutbahnen, die das Gehirn vor giftigen Stoffwechselprodukten im Blutkreislauf schützen, anfangen kaputtzugehen, wenn Tiere einen chronischen Schlafentzug erleiden.
Die Forscher dieser Studie ließen Versuchstiere nicht schlafen und untersuchten dann die Physiologie ihrer Gehirne. Die Blutbahnen fingen an sich zu trennen, was darauf schließen lässt, dass die Schranke zwischen Gehirn und Körper geschwächt wurde. Als die Gehirnzellen dieser Tiere unter dem Mikroskop untersucht wurden, hatten sie Vesikel bzw. Lagereinheiten aus giftigen Stoffwechselprodukten des Körpers gebildet. Eine erhöhte Anzahl von giftigen Einlagerungsprodukten wird mit Erkrankungen wie Parkinson in Verbindung gebracht.
Wenn das Einlagern dieser Chemikalien zu mühsam wird, könnten Zellen gereizt werden. Diese reagieren bei Stimuli über, was die Funktion beeinträchtigt. In manchen Fällen könnten diese Gehirnzellen sogar sterben. Die erhöhte Durchlässigkeit des Gehirns gibt ebenfalls Grund zur Sorge, da viele Medikamente unter der Annahme verabreicht werden, dass sie die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können. Wenn sie bei Patienten mit Schlaflosigkeit diese Schranke überschreiten, könnten sie negative Auswirkungen auf das Gewebe und die Funktion des Gehirns haben.
Moderne Menschen und Schlaf
Leider handelt es sich für moderne Menschen hierbei nicht gerade um gute Nachrichten. Die Technologie hat es uns ermöglicht, die meiste Zeit wach zu sein, während uns die Stressfaktoren des gegenwärtigen Lebens von gesunden Schlafgewohnheiten abhalten. Diese Studie hält fest, dass ein Fehlen von hochwertigem Schlaf zu einer stetigen Ansammlung von Neurotoxinen führen kann, die dem Gewebe des Gehirns langfristige Schäden zufügen können. Tatsächlich wurde die Belastung mit Neurotoxinen mit degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer in Verbindung gebracht. In Zukunft werden weitere Studien im Bereich der circadianen Biologie durchgeführt, um festzustellen, ob und wie viel Schlafentzug zu degenerativen Erkrankungen des Gehirns beiträgt.
Auch wenn der Zusammenhang zwischen Nervengiften und Schlaf noch untersucht wird, stellten Studien fest, dass Schlaf ein sehr wichtiger Teil ist, um das Gehirn zu schützen. Das Gehirn scheint Schlaf nicht nur dafür zu benötigen, um sich selbst zu reinigen; Schlaflosigkeit kann die Belastung durch giftige Stoffwechselprodukte aus anderen Bereichen des Körpers noch erhöhen. Die Aufrechterhaltung eines gesunden circadianen Rhythmus mit angemessenen Mengen hochwertigen Schlafs könnte ein Weg sein, um sich selbst vor den gefährlichen Auswirkungen zu schützen, die Neurotoxine mit sich bringen.