Obwohl wir wissen, welche Hirnregionen während des REM-Schlafs aktiviert werden, ist noch wenig darüber bekannt, wozu diese Aktivität dient. Forscher der Universität Bern und des Inselspitals haben herausgefunden, dass die Aktivierung von Neuronen im Hypothalamus während des REM-Schlafs das Essverhalten reguliert: Wird diese Aktivität bei Mäusen unterdrückt, sinkt der Appetit.
Wie REM-Schlaf die Nahrungsaufnahme beeinflusst
Während wir schlafen, wechseln wir zwischen verschiedenen Schlafphasen, von denen jede auf unterschiedliche Weise dazu beiträgt, dass wir uns ausgeruht fühlen. Während des REM-Schlafs (Rapid Eye Movement), einer besonderen Schlafphase, die auch als paradoxer Schlaf bezeichnet wird und in der die meisten Träume auftreten, zeigen bestimmte Gehirnschaltkreise eine sehr hohe elektrische Aktivität, wobei die Funktion dieser schlafbezogenen Aktivität noch unklar ist.REM-Schlaf ist eine einzigartige Schlafphase bei Säugetieren, die eng mit Träumen verbunden ist und durch zufällige Augenbewegungen und eine fast vollständige Lähmung des Körpers gekennzeichnet ist.
Zu jenen Hirnregionen, die während des REM-Schlafs eine starke Aktivierung aufweisen, gehören beispielsweise Bereiche, die Gedächtnisfunktionen oder Emotionen regulieren. Der laterale Hypothalamus, eine winzige, evolutionär gut erhaltene Hirnstruktur bei allen Säugetieren, zeigt auch während des REM-Schlafs eine hohe Aktivität. Bei wachen Tieren koordinieren Neuronen aus dieser Hirnregion den Appetit und den Verzehr von Nahrung und sind an der Regulierung von motiviertem Verhalten und Sucht beteiligt.
In einer Studie haben sich Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Antoine Adamantidis an der Universität Bern zum Ziel gesetzt, die Funktion der Aktivität hypothalamischer Neuronen bei Mäusen während des REM-Schlafs zu untersuchen. Sie wollten besser verstehen, wie die neuronale Aktivierung während des REM-Schlafs unser tägliches Verhalten beeinflusst. Sie entdeckten, dass die Unterdrückung der Aktivität dieser Neuronen die Menge an Nahrung, die die Mäuse zu sich nehmen, verringert. Dies deutet laut den Forschern darauf hin, dass REM-Schlaf notwendig ist, um die Nahrungsaufnahme zu stabilisieren. Die Ergebnisse dieser Studie wurden in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.
Lang anhaltende Wirkung auf neuronale Aktivität und Fressverhalten
Die Forscher entdeckten, dass bestimmte Aktivitätsmuster von Neuronen im lateralen Hypothalamus, die bei der wachen Maus normalerweise das Fressen signalisieren, auch dann vorhanden sind, wenn sich die Tiere im REM-Schlaf befinden. Um die Bedeutung dieser Aktivitätsmuster während des REM-Schlafs zu untersuchen, verwendete die Forschungsgruppe eine Technik namens Optogenetik, bei der sie Lichtimpulse einsetzte, um die Aktivität der hypothalamischen Neuronen während des REM-Schlafs präzise auszuschalten. Als Ergebnis stellten die Forscher fest, dass die Aktivitätsmuster für die Nahrungsaufnahme verändert waren und die Tiere weniger Nahrung zu sich nahmen.
Sie waren überrascht, wie stark und anhaltend sich unser Eingriff auf die neuronale Aktivität im lateralen Hypothalamus und das Verhalten der Mäuse auswirkte. Die Veränderung der Aktivitätsmuster war auch nach vier Tagen regelmäßigen Schlafs noch messbar. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die elektrische Aktivität in hypothalamischen Schaltkreisen während des REM-Schlafs sehr plastisch und für die Aufrechterhaltung eines stabilen Fressverhaltens bei Säugetieren unerlässlich ist.
Die Resultate verdeutlichen, dass nicht nur die Schlafmenge für unser Wohlbefinden erforderlich ist, sondern dass die Schlafqualität eine wichtige Rolle spielt, insbesondere um ein angemessenes Essverhalten aufrechtzuerhalten. Dies ist in unserer Gesellschaft von besonderer Bedeutung, in der nicht nur die Schlafmenge abnimmt, sondern auch die Schlafqualität durch Schichtarbeit, nächtliche Bildschirmnutzung oder sozialen Jetlag bei Jugendlichen dramatisch beeinträchtigt wird. Der entdeckte Zusammenhang zwischen der Aktivität der Neuronen während des REM-Schlafs und dem Essverhalten könnte bei der Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze zur Behandlung von Essstörungen helfen. Er könnte auch für Motivation und Sucht relevant sein.
Wie REM-Schlafverlust die Lust auf Süßes fördert
Es ist nicht genau bekannt, welche Rolle Schlafmangel bei der Beeinflussung von Gehirnbereichen spielt, die das Verlangen nach ungesunden Lebensmitteln kontrollieren. In einem Artikel, der in der Zeitschrift eLife veröffentlicht wurde, wurde festgestellt, dass ein Verlust des REM-Schlafs zu einem verstärkten Verzehr ungesunder Lebensmittel, insbesondere von Saccharose und Fett, führt. Die Forscher am International Institute for Integrative Sleep Medicine (IIIS) der Universität Tsukuba verwendeten eine Methode, um bei Mäusen REM-Schlafverlust zu erzeugen, sowie eine chemisch-genetische Technik, um Neuronen des präfrontalen Cortex und die von ihnen vermittelten Verhaltensweisen zu blockieren. Als Ergebnis stellten die IIIS-Forscher fest, dass die Hemmung dieser Neuronen die Wirkung des REM-Schlafverlusts auf den Saccharosekonsum umkehrte, während sie keine Auswirkungen auf den Fettkonsum hatte.
Der präfrontale Cortex spielt eine Rolle bei der Beurteilung der Schmackhaftigkeit von Lebensmitteln anhand von Geschmack, Geruch und Textur. Außerdem neigen übergewichtige Personen zu einer erhöhten Aktivität im präfrontalen Cortex, wenn sie kalorienreiche Lebensmittel zu sich nehmen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der mediale präfrontale Cortex eine direkte Rolle bei der Kontrolle unseres Verlangens nach dem Verzehr von gewichtsfördernden Lebensmitteln mit hohem Saccharosegehalt spielen könnte, wenn wir nicht genug geschlafen haben.